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Gastbeitrag von Claudia Kemfert und Jan RosenowVernichtung unseres Wohlstands? Warum sich der Gasnetz-Rückbau wirtschaftlich lohnt
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Vernichtung unseres Wohlstands? Warum sich der Gasnetz-Rückbau wirtschaftlich lohnt
  • FOCUS-online-Expertin Prof. Dr.
  • FOCUS-online-Experte Dr.
Freitag, 19.04.2024, 12:13

Das Ende des Gaszeitalters steht bevor. Deshalb ist der Rückbau deutscher Gasnetze keine „Vernichtung des Wohlstandes“, sondern wirtschaftlich notwendig. Denn: Ohne signifikanten Verbrauch lohnen sich die Netze nicht mehr. Ein Gastbeitrag von Claudia Kemfert und Jan Rosenow.

Seit einiger Zeit gibt es viel Aufregung darum, was mit den Gasnetzen passiert, wenn im Zuge der Energiewende und der Erreichung der Klimaziele der Gasbedarf immer weiter zurückgehen wird. Bis 2045 wird ein steiler Abfall in der Erdgasnutzung erwartet. In den wesentlichen Szenario-Studien wird schon bis zum Jahr 2035 eine Reduktion des Erdgasverbrauchs zwischen 28 Prozent und 63 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022 erreicht. Im Jahr 2045 werden in diesen Szenarien nur geringe Restmengen an Erdgas verbraucht. Das bedeutet zwangsläufig einen schrittweisen Rückbau der Gasnetze, da sich diese ohne signifikante Belastungen der Verbraucher nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen.

Wenn Deutschland 2045 kein Erdgas mehr braucht, lohnen sich Gasnetze wirtschaftlich nicht

Das Gasnetz ist in Deutschland über 500.000 km lang. Gas wird größtenteils zum Heizen verwendet, etwa die Hälfte aller Haushalte in Deutschland heizen mit Gas. Gas wird zudem eingesetzt, um Strom herzustellen sowie Prozesswärme für die Industrie mittels so genannter Kraft- Wärme Kopplungsanlagen. Der Anteil von Erdgas zur Stromerzeugung liegt derzeit bei etwa 10 Prozent.

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Seit langem gibt es in Deutschland eine starke Gas-Lobby, die seit Jahrzehnten für Erdgas als so genannte „Brückentechnologie“ wirbt, ohne die es in Deutschland angeblich kalt werden und die Lichter ausgingen. Das stimmt natürlich nicht, da auch ohne Erdgas geheizt werden kann, beispielsweise mittels der sehr viel effizienteren Wärmepumpen oder mittels Fernwärme. Auch Strom kann ohne Erdgas hergestellt werden, vor allem aus erneuerbaren Energien. Dennoch war und ist die Strategie noch immer sehr erfolgreich, jüngst erkennbar an dem großen Aufschrei um die angebliche Vernichtung von „Volksvermögen“ bei Stilllegung der Erdgasnetze.

Über die Expertin

Claudia Kemfert ist Professorin für Energieökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der Leuphana-Universität in Lüneburg. Zudem ist sie Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen.

Fakt ist: der Bedarf von Erdgas wird zurückgehen, angetrieben durch die Heizenergie-Wende, die durch finanzielle Förderungen und Erhöhung der Erdgas-Preise durch den Anstieg der CO2 Preise motiviert wird. Auch im Industriebereich wird der Erdgaseinsatz zurückgehen, vor allem aus Kostengründen. Durch den Erdgasverbrauchs-Rückgang wird es mehr und mehr zur Stilllegung von Erdgasverteilnetzen kommen müssen, da sonst eine immer kleiner werdende Zahl an Endkunden die Kosten für das Gasnetz zahlen muss.

Über den Experten

Jan Rosenow ist Wissenschaftler an den britischen Universitäten Oxford und Cambridge. Rosenow forscht, berät und schreibt zum Thema Energie und wurde mehrmals zu einem der bedeutendsten Energie-Experten der Welt gekürt. Er ist ein Fellow an der britischen "Royal Society of Arts".

Wenn Gasnetz nicht zurückgebaut wird, müssen die wenigen Endkunden die steigenden Netz-Kosten zahlen

Besonders einkommensschwache Haushalte sind hier einem erheblichen Risiko ausgesetzt. Die durch die Bundesländer samt Kommunen erarbeiteten Wärmepläne werden Pfade aufzeigen, ob und wie ein geordneter Rückbau der Gasnetze umgesetzt wird. Bisher ist allerdings noch nicht allzu viel passiert, wie jüngst unsere Studie zeigte: in Baden-Württemberg gibt es seit einiger Zeit konkrete Wärmepläne, allerdings haben diese bisher nicht dazu geführt, dass vorausschauende Pläne insbesondere zur Stilllegung der Gasnetze erarbeitet wurden. 

Netzentgelte für verbleibende Gaskunden werden steigen, je mehr Verbraucher sich vom Gasnetz entkoppeln, indem sie beispielsweise auf eine Wärmepumpe umstellen. Wir sehen diese Entwicklung bereits in Frankreich, wo jüngst die Netzentgelte aufgrund der schrumpfenden Kundenzahl erhöht worden sind. Analysen der Effekte des rückläufigen Gasverbrauches auf die Netzkosten britischen Energieregulierungsbehörde Ofgem zeigen, dass die Netzentgelte innerhalb von 20 Jahren um den Faktor 10 ansteigen könnten. Und je länger Kommunen warten und sich nicht vorbereiten, desto teurer kann es werden. Unvorbereitete Kommunen könnten zu bestimmten Zeitpunkten gezwungen werden, ihre Wärmeversorgung umzustellen. Je länger gezögert wird, desto teurer kann es werden. 

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Daher wird die EU-Kommission zu Recht die Länder auffordern, wie im Gas-Paket vereinbart, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Gasnetze schneller abzuschreiben und stillzulegen. Derzeit ist beides nicht möglich. Im Gegenteil, derzeit bestehen noch Anreize, Erweiterungen und Ersatzinvestitionen in das existierende Gasnetz zu tätigen, anstatt Stilllegungen vorzubereiten. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen sieht die bestehende Regulierung der Erdgasverteilnetze einen Rückbau bisher nicht systematisch vor. Hinzu kommen die Konzessionsverträge, die viele Kommunen in eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Erdgasabsatz gebracht haben. Eine vorzeitige Stilllegung würde zu erheblichen stranded assets führen.

Einfach Wasserstoff in die alten Netze? Ein technischer Mythos

Zu allem Überfluss werden Unsicherheiten geschürt durch das Versprechen, dass Gasnetze weiter betrieben werden könnten, wenn statt Erdgas Wasserstoff zum Einsatz kommt. Dies ist allerdings sowohl technisch als auch ökonomisch unsinnig. Rein technisch gesehen, kann eine existierende Erdgas-Infrastruktur nicht einfach mit Wasserstoff genutzt werden. Das liegt an der geringeren Energiedichte, höheren Flusswiderstand und der korrosiven Wirkung von Wasserstoff. 

Die angebliche „Wasserstoff Readyness“ von Gas-Infrastruktur samt Anlagen ist ein Mythos. Zudem muss Wasserstoff aufwändig hergestellt werden, dazu sind große Mengen an Ökostrom und Wasser notwendig. Der Einsatz von Wasserstoff im Wärmebereich ist ineffizient und zu teuer, wie mittlerweile mehr als 50 unabhängige Studien belegen. Es handelt sich eher um ein Blendwerk als um eine realistische Option.

Bitte mehr Realismus bei der Wärmeplanung

Was heißt dies nun alles für das Gasnetz? Und für die Kunden? Fehlende Planungen und Unsicherheiten über Wärmepläne können hohe individuelle und volkswirtschaftliche Kosten hervorbringen. Stattdessen ist Realismus angesagt. Kommunen sollten schnellstmöglich Wärmepläne erarbeiten, die sicherstellen, dass eine geordnete Stilllegung der Gasnetze und Alternativen für Gaskunden ermöglicht werden. Insbesondere müssen Kommunen aufpassen, dass sie nicht dem Trugschluss erliegen, dass eine möglichen Rekommunalisierung die Lösung ist. Diese kann sehr teuer sein, zudem müssen die Kosten für die Stilllegung und Umstellung berücksichtigt werden. 

Die effizienteste Form der Wärmegewinnung ist oftmals durch individuelle Wärmepumpen gegeben, aber auch Nah- und Fernwärmeangebote können attraktiv sein, wenn sie mittels erneuerbarer Energien sowie Großwärmepumpen gewonnen werden oder unvermeidbare Abwärme nutzen. Statt ins existierende Erdgasnetz sollte besser in die Umstellung investiert werden. Jeder Euro, der jetzt noch in vergangene, veraltete Technologien investiert wird, fehlt für Investitionen in echte Zukunftstechnologien.

Die Rahmenbedingungen müssen rasch angepasst werden, damit die realistischen Planungen umgesetzt werden können. Der Bund hat mit dem Green-Paper und die Bundesnetzagentur hat mit der möglichen vorzeitigen Abschreibung der Gasnetze erste gute Vorschläge zur Umsetzung erarbeitet. Gaskunden sollte Unterstützung angeboten werden sich umorientieren, statt Gasheizungen einzubauen. Es bleibt zu hoffen, dass der Verbraucher im Fokus bleibt. Sonst wird es wirklich teuer. Für die Gaskunden und die deutsche Volkswirtschaft.

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