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Ausgebrannte Flüchtlingsunterkunft in Mecklenburg-Vorpommern »Hier aus dem Dorf macht keiner so was«

Die Polizei geht von einem politischen Anschlag auf das Flüchtlingsheim in Groß Strömkendorf aus. Der kleine Ort ist erschüttert – wie passt der Brand zu all der Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit bislang?
Von Lisa Duhm, Groß Strömkendorf
Andrej Bondartschuk leitete die Unterkunft: »Am Ende mussten wir die Menschen bitten, uns nichts mehr zu bringen«

Andrej Bondartschuk leitete die Unterkunft: »Am Ende mussten wir die Menschen bitten, uns nichts mehr zu bringen«

Foto: Jens Büttner / dpa

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Der Gasthof ist nur noch ein schwarzes Gerippe. Verkohlte Giebelbalken recken sich gen Himmel, mühsam gestützt auf die Fassade des einst imposanten Gebäudes. Letzte Glutnester verschlingen das restliche Reet auf dem Dach. »Ich kann nicht mehr«, sagt Thilo Rau, Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Mecklenburg-Vorpommern, und schüttelt den Kopf.

Am späten Mittwochabend brach in dem ehemaligen Hotel Schäfereck, das seit dem Frühjahr vom DRK als Flüchtlingsunterkunft betrieben wird, ein Feuer aus. Für Rau ein persönlicher Albtraum. Mehr noch für die Bewohner: 14 Ukrainerinnen und Ukrainer lebten hier, das jüngste Kind gerade ein Jahr alt. Sie versuchten noch, den Brand selbst zu löschen, doch schnell stand das gesamte Dach des Hauses in Flammen. Körperlich wurde niemand verletzt. Doch die wenigen Habseligkeiten der Kriegsflüchtlinge verbrannten in dem Hotel, das ihnen eine sichere Zuflucht sein sollte. Das Gebäude wurde komplett zerstört, es soll möglichst bald abgerissen werden.

Schnell war klar: Das war sehr wahrscheinlich Brandstiftung. Das Feuer ging von einem Loch im Dach des Gebäudes aus, das nicht natürlich entstanden sein kann, so die Einschätzung der Feuerwehr. Ein Brandsatz könnte hineingeworfen worden sein. Seitdem treibt Rau und seine Kollegen vom DRK die Frage um, ob ihre Sicht auf die Welt noch stimmt – vor allem seit der Sache mit dem Hakenkreuz.

»Das hier war eine Herzensangelegenheit. Mein Versuch, meinen Landsleuten zu helfen.«

Andrej Bondartschuk, Leiter der Flüchtlingsunterkunft

Erst wenige Tage vor dem Brand prangte auf einer Tafel vor der Unterkunft plötzlich eine Schmiererei. Unbekannte hatten das Logo des DRK als Hakenkreuz verunstaltet. »Ich glaubte an einen Dummejungenstreich«, sagt Andrej Bondartschuk, Leiter der Flüchtlingsunterkunft.

Er wirkt blass, Schatten liegen dunkel unter seinen Augen. Bondartschuk stammt selbst aus der Ukraine, 2004 kam er nach Deutschland. »Das hier war eine Herzensangelegenheit. Mein Versuch, meinen Landsleuten zu helfen«, sagt er.

In der Brandnacht kämpfte er mit den Geflüchteten noch selbst gegen die Flammen, drei oder vier Feuerlöscher habe er bis zum Eintreffen der Feuerwehr verbraucht, genau wisse er das nicht mehr, sagt Bondartschuk. »Es waren keine Glutnester mehr zu sehen.« Doch das Feuer habe auf den Dachstuhl übergegriffen, die Feuerwehr habe keine Chance mehr gehabt.

Erinnerungen »an ganz dunkle Zeiten«

Die Sache scheint auf den ersten Blick eindeutig: Ein Flüchtlingsheim wird mit einem Hakenkreuz beschmiert, kurz darauf brennt es nieder. Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund, der Staatsschutz hat die Ermittlungen in der Sache übernommen. Auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zeigte sich am Donnerstagvormittag vor Ort, ihre Botschaft: »Menschen, die vor Krieg flüchten, brauchen unseren Schutz und unsere Unterstützung. Hetze und Gewalt dulden wir nicht!« Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Schweriner Landtag, Julian Barlen, sagte, die Hakenkreuz-Funde vor Ort weckten 30 Jahre nach Lichtenhagen und Mölln Erinnerungen »an dunkle Zeiten«.

Ruine in Groß Strömkendorf: Am morgigen Freitag sollte der Spielplatz eingeweiht werden

Ruine in Groß Strömkendorf: Am morgigen Freitag sollte der Spielplatz eingeweiht werden

Foto: Jens Büttner / dpa

Doch Einrichtungsleiter Andrej Bondartschuk will nicht glauben, dass es sich um einen Anschlag von Rechtsextremen handelt. Noch nie habe es hier am Flüchtlingsheim Probleme aus der Richtung gegeben. Im Gegenteil: Als die Unterkunft im vergangenen Frühjahr den Betrieb aufnahm, habe man sich vor Spenden kaum retten können. »Am Ende mussten wir die Menschen bitten, uns nichts mehr zu bringen«, sagt Bondartschuk. Hinter dem Gasthof sei eigens ein Spielplatz entstanden, 30.000 Euro habe der gekostet, zum Großteil finanziert aus Spenden. Er sollte am morgigen Freitag eingeweiht werden.

Auch Landrat Tino Schomann betont die große Hilfsbereitschaft der Menschen vor Ort. Erst vor Kurzem habe man gemeinsam ein Sommerfest gefeiert. »Alle hier im Ort sind schockiert und sprachlos«, sagt Schomann.

»Das geht mir an die Nieren«

Groß Strömkendorf ist eines von neun Dörfern der Gemeinde Blowatz, die insgesamt rund 1100 Einwohner zählt. Direkt neben dem Gasthof beginnt die Weite von Wiesen und Feldern, die Landwirtschaft prägt das Dorf. Am Zaun vor der Unterkunft hat sich eine Menschentraube gesammelt. Dabei ist auch Monika Feiereisen, 69 Jahre alt. Sie kennt den Gasthof Schäfereck noch von früher, Feiereisen ist in Groß Strömkendorf aufgewachsen. »Das geht mir an die Nieren«, sagt sie mit Tränen in den Augen. »Unser schönes Schäfereck.« Fasching habe sie hier gefeiert, sei mit ihren Enkeln Eis essen gegangen. Der Gasthof sei ein Ort der Zusammenkunft für die Dorfbewohner gewesen, bis er vor einigen Jahren insolvent gegangen sei. Die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft habe sie begrüßt, sagt Feiereisen. »Hier aus dem Dorf macht keiner so was«, ist sie sich sicher.

Ministerpräsidentin Schwesig am Tatort

Ministerpräsidentin Schwesig am Tatort

Foto: Jens Büttner / dpa

Marean Eckert, 22, steht neben ihr und hat eine Vermutung. Eckert kommt aus dem nahe gelegenen Wismar und ist bei der Freiwilligen Feuerwehr – auch er wurde vergangene Nacht zu Hilfe gerufen. »Es geht das Gerücht herum, dass es jemand aus den eigenen Reihen war, jemand von der Feuerwehr.« Er hoffe, dass der Täter bald gefunden werde, fügt Eckert noch hinzu.

Landrat Schomann verweist auf eine Reihe von ungeklärten Bränden aus dem vergangenen Sommer. Mehr als 15 solcher Einsätze habe die Feuerwehr in der Region in den letzten Monaten gehabt. Erst in der vergangenen Woche habe eine Reetdachkate in der Nähe in Flammen gestanden, ohne dass die Ursache erkennbar gewesen sei. Auch die Brandserie sei Teil der Ermittlungen, so die Polizei.

DRK-Geschäftsführer Rau hofft, dass sich der Verdacht des rechten Anschlags nicht bestätigt. »So etwas färbt ab«, sagt Rau. Das hätten die Bewohner von Groß Strömkendorf nicht verdient, die seien alle »herzensgut«. Dann zuckt er mit den Schultern. »Aber klar, der Verdacht liegt nahe.«